Systemsprenger sind Menschen, die sich nicht an Regeln halten. Wladimir Putin ist sicherlich ein Systemsprenger. Mit seinem Einmarsch in einen souveränen Staat hat er das politische System, was für Europa seit einigen Jahrzehnten galt, einfach gesprengt.
Auch Donald Trump ist ein Systemsprenger. Er sprengt durch seine Aussagen und seine Entscheidungen viel politisch Tradiertes weg. Dabei überschreitet er auch manchmal Grenzen des etablierten Völkerrechtes.
Systemsprenger müssen aber nicht immer nur alte, weiße Männer sein. Vor allem sind Systemsprenger nicht immer böse oder exzentrisch. Systemsprenger können auch durchaus erfrischende und konstruktive Menschen sein.
Eine solche sehr erfrischende Systemsprengerin habe ich jetzt bei einer Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e.V. live erlebt. Traditionell eröffnet der Abteilungsleiter Politik im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) mit seiner Einschätzung zur „Strategischen Lage zum Jahresbeginn“ das sicherheitspolitische Vortragsjahr dieser Gesellschaft in Berlin.
Zur Zeit hat diesen Posten der Karrierediplomat Jasper Wieck inne. Sein Vortrag hat nicht viel Neues gebracht. Man konnte eher einen Pudding an die Wand nageln, als aus dem Vortrag eine neue Erkenntnis zur sicherheitspolitischen Lage zu gewinnen. Er sprach mit schön gesetzten Worten von Multipolarität der Welt und unseren Werten.
Eine Studentin im zweiten Semester der Internationalen Beziehungen hätte nach einer Stunde Einlesezeit die gleiche Rede halten können. Man hatte den Eindruck, dass an diesem Diplomaten die Zeitenwende irgendwie vorbeigegangen ist.
Auf dem Diskussionspodium saß dann gottseidank eine Systemsprengerin, eine Frau, die man sich im politischen Berlin merken sollte: die politische Analystin, strategische Beraterin und Medienkommentatorin Jessica Berlin. Sie stellte den in seiner Laufbahn ergrauten Beamten des Verteidigungsministeriums sofort ins Achtung, wie es so schön in Soldatenkreisen heißt. Mit anderen Worten: Sie hat ihm kräftig Paroli geboten.
Sie sprengte die sicherlich als nett angelegte Veranstaltung, indem sie den wohlgesetzten, schwammigen Worten des Diplomaten ihre knallharte Lagebeurteilung kraftvoll entgegenfeuerte: „Wir leben seit drei Jahren mit einem Zerstörungs- und Vernichtungskrieg vor unserer Haustür.“
Später fuhr sie fort: „Es geht nicht um Multipolarität. Es geht um Macht.“ Sie endete: „Wir brauchen Klartext von unseren Politikern.“ Der Politische Direktor saß neben ihr wie ein ertappter Junge.
Liebe Deutsch-Atlantische Gesellschaft, vielen Dank für diese wegen Jessica Berlin so erfrischende Veranstaltung. Bitte mehr davon! Und gleich noch einen Vorschlag: Macht doch mal eine Veranstaltung dazu, wie wir solche Systemsprengerinnen auf Positionen wie die des Politischen Direktors im BMVg bekommen können. Dann würde das mit der Zeitenwende auch klappen.